Editorial : Zwölfte Kunst?

In seiner offiziellen Ansprache am 11. Grand Prix d’Horlogerie de Genève  auf der Bühne des Grand Théâtre in Genf bezeichnete Carlo Lamprecht die Kunst der Zeitmessung als 12. Kunst. Die Idee ist ausgezeichnet und verdient eine weitere Vertiefung, aber wie kann sie umgesetzt und von wem soll sie begleitet werden? Die ersten sieben Künste sind klar definiert. Der deutsche Philosoph Hegel erstellte Anfang des 19. Jahrhunderts in seinen Vorlesungen über die Ästhetik eine klare Liste: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Musik, Tanz und Poesie. Der französisch-italienische Filmkritiker Ricciotto Canudo veröffentlichte 1923 ein Manifest über die siebte Kunst. Die achte Kunst ist auf keine spezielle Person zurückzuführen, vereint aber Fotografie, Radio und Fernsehen. Die Urheberschaft der neunten Kunst wird dem Zeichner Morris für die Comics zugeschrieben. Die verwischten Konturen der zehnten Kunst grenzen die digitalen Künste ein, und bestimmte Restaurants fordern die Ernennung der Gastronomie zur elften Kunst. Rein chronologisch zählt die Kunst der Zeitmessung zu den ersten Künsten überhaupt, und doch scheint es keine andere Möglichkeit als den 12. Platz zu geben. Sie soll bis ins 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurückreichen, als die Babylonier in ihrem Schöpfungsmythos die Astralzyklen durch 12 Monate mit 30 Tagen darstellten. Die Zeitmessung hat seitdem von den ersten Eroberungen der Seefahrer bis zum Aufkommen der Informatik unaufhörlich den Aufschwung der Zivilisation geprägt. Es gibt unzählige Verweise auf die Zahl 12, allein schon ihre dominante Position auf den Zifferblättern der Uhren. Die Institutionalisierung der 12. Kunst sollte einer einigenden und unbestrittenen Instanz zustehen. Die Initiative dazu könnte von einer Stiftung (z.B. der des Grand Prix d’Horlogerie de Genève) oder einem Verband (wir denken da natürlich sofort an den Verband der Schweizer Uhrenindustrie, auch wenn noch andere Kunsthandwerke involviert sind) unterstützt werden. Und warum nicht gemeinsam mit einer Uhrenzeitschrift, die 2012 ihren 12. Geburtstag feiert?


Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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