Jean-Claude Biver CEO, von Tag Heuer, Direktor der uhrensparte von LVMH

«TAG Heuer revolutioniert in Kürze 400 Jahre Uhrmachergeschichte.»

Welche Bilanz ziehen Sie 2016 für Hublot, TAG Heuer und Zenith?

Die Bilanz ist insgesamt ausgezeichnet, denn wir haben im Vergleich zum Vorjahr um 5-6% zugelegt, während die Uhrenindustrie über den gleichen Zeitraum um etwa 10% abrutschte. Das ist bemerkenswert und bedeutet, dass wir 15% Marktanteile gewonnen haben. Ich habe schon immer einen Unterschied zwischen Wachstum und Gewinnung von Marktanteilen gegenüber der Konkurrenz gemacht. Aufgrund der derzeit angespannten Konjunktur muss man sich auf Marktanteile konzentrieren. Wenn man ein Fahrradrennen als Metapher nimmt, dann bedeutet dies, dass man beim Aufstieg in die Alpen schneller in die Pedale treten muss, um sich vom Feld abzusetzen. Natürlich kommt man weniger schnell vorwärts als auf gerader Strecke, aber Hauptsache, man lässt die Konkurrenz hinter sich. Ausserdem möchte ich hervorheben, dass TAG Heuer wahrscheinlich das beste Jahr aller Zeiten erlebte. Seit 1860 verzeichnete TAG Heuer bereits viele tolle Ergebnisse, doch angesichts der derzeit schwierigen Situation ist es herausragend, ausgerechnet jetzt das beste Jahr seit Gründung der Marke zu erzielen! Bei Hublot war dieses Jahr ebenso gut wie das letzte, und die Marke wächst seit 2004 ununterbrochen. Das ist genial! Zenith folgt hingegen dem allgemeinen Trend der Uhrmacherei. Das ist auch nur logisch, denn die Marke weist die gleiche übertriebene Abhängigkeit von China auf wie der Rest der Uhrenindustrie. Zenith erzielte mehr als die Hälfte des Umsatzes in China. Dabei handelte es sich grösstenteils um Golduhren, die jetzt aufgrund der Korruption in Verruf geraten sind. Die Marke verzeichnet folglich einen Rückgang bezüglich Stückzahlen und Wert.

Welche Highlights erwarten Sie für 2017?

Bei TAG Heuer sind das chinesische Raumfahrtprogramm und das Comeback der Marke im Radrennsport, aus dem sie sich Ende der 1980er-Jahre zurückgezogen hatte, von grosser Bedeutung. Unsere Partnerschaft mit BMC garantiert uns vor allem eine starke Präsenz an der Tour de France. Neben den üblichen Veranstaltungen, an denen Hublot mitwirkt, bildet der 70. Geburtstag von Ferrari ein spezielles Highlight. Dank einer engen und intensiven Zusammenarbeit werden rund 100 Events rund um die Welt stattfinden. Bei Zenith bilden die eigentliche Lancierung der Partnerschaft mit Range Rover sowie die Zusammenarbeit mit Kevin Spacey als neuem Markenbotschafter die Höhepunkte.

Worin besteht Ihre Partnerschaft mit dem chinesischen Raumfahrtprogramm?

China und seine Armee haben ein ehrgeiziges Raumfahrtprogramm lanciert, an dem TAG Heuer mitwirkt. Die Uhren im Kontrollraum, die unter anderem auch den Countdown angeben, stammen von TAG Heuer. Die Direktoren des chinesischen Raumfahrtprogramms werden an gemeinsam organisierten Veranstaltungen teilnehmen und wir werden im Gegenzug bei bestimmten Feierlichkeiten mitwirken können. Wir verfügen auch über alle Mond- und Marsfahrzeugmodelle, die wir in unseren Boutiquen ausstellen können. Selbstverständlich werden wir auch gemeinsam mit der China National Space Agency eine spezielle Uhr entwickeln.

Welchen Herausforderungen stellt sich TAG Heuer in den kommenden Jahren?

Einerseits wird es im Bereich der mechanischen Uhren eine Revolution geben und andererseits setzen wir den Technologietransfer bei der Smartwatch fort. Ab 2017 werden rund 50 Mitarbeiter intern Mikroprozessoren in Uhren integrieren. Es handelt sich um die erste Schweizer Mikroprozessormontagelinie für die Telekommunikationsindustrie. Diese wird sich in einem Reinraum bei TAG Heuer in La Chaux-de-Fonds befinden, wo zwölf Intel-Ingenieure bereits die Anlagen einrichten und unsere Teams schulen. Im Silicon Valley werden wir gleichzeitig bei Intel in Santa Clara ein Forschungszentrum eröffnen, in dem ein Dutzend Ingenieure an Forschungs- und Entwicklungsprojekten für vernetzte Gegenstände arbeiten werden. Im Bereich der Mechanikuhren revolutioniert TAG Heuer in Kürze 400 Jahre Uhrmachergeschichte durch eine fundamentale Innovation, vor allem auf dem Gebiet der Metallurgie. Diese absolut bahnbrechende technologische Neuerung wird als neuer Meilenstein in die Uhrmachergeschichte eingehen.

Ist es heute noch vorteilhaft, Teil einer Gruppe zu sein?

Auch wenn uns die Unabhängigkeit jeder Marke wichtig ist, bietet mir die gleichzeitige Leitung der drei Marken die Möglichkeit, Synergien auf verschiedenen Ebenen zu nutzen. Schliesslich ist Hublot eine Manufaktur, die pro Jahr nicht nur 20 000 Werke selbst herstellt, sondern ebenso viele kauft und gleichzeitig noch Gehäuse baut und eigene Legierungen zusammenstellt. Zenith ist natürlich eine historisch gewachsene Manufaktur und TAG Heuer fertigt nächstes Jahr 120 000 Mechanikwerke, 300 000 Gehäuse und 500 000 Zifferblätter. Mit drei so hochwertigen, umfassenden und kompetenten Produktionseinheiten sind kolossale Synergien möglich! Wir könnten auch die Forschung und Entwicklung gemeinsam nutzen wie beispielsweise die Ergebnisse des genialen Metallurgielabors von Hublot. Im Vertrieb können zwei starke Marken der schwächeren dritten unter die Arme greifen.

Die Uhrmacherei bekommt auch aus anderen Luxusbereichen durch verändertes Konsumentenverhalten Konkurrenz. Wie kann sie weiter überzeugen?

Die Antwort ist einfach: Die Uhrmacherei muss sich auf das veränderte Kundenverhalten einstellen. Diese Veränderung ist grundlegend und radikal. Für Marken, die hier den Zug verpassen, wird es fatal enden. Der neue Konsument ist um die 20 und weder sein Lebensstil noch seine Gewohnheiten entsprechen dem, was wir heute kennen. Die Kinder treten nicht mehr in die Fussstapfen ihrer Eltern und betonen ihre Andersartigkeit viel stärker als früher. Sie machen beispielsweise keinen Führerschein mehr. Ihr Verständnis von Luxus ist grundlegend anders. Alles, was in der Vergangenheit als stark und stabil galt, ist heute instabil geworden. Der Wandel ist radikal und muss unbedingt mitverfolgt und verstanden werden, um mitzuziehen. Nehmen wir das Beispiel eines 18-Jährigen, der 500 Franken für ein Paar Adidas oder Nike ausgibt. Was kauft er mit 38? Marken, die hier nicht mithalten können, werden auf Grundeis gehen. Das sieht man heute schon in China, wo TAG und Hublot Produkte anboten, die nicht mehr dem entsprachen, was die eher auf elegante klassische Uhren ausgerichteten chinesischen Kunden von heute unter Luxus verstehen. Für Chinesen ist ein Chronograph kein Luxusobjekt und daran können auch unsere Marketinginvestitionen nichts ändern. Da musste erst der chinesische Staat eingreifen und den grossen Unternehmen vorschreiben, in den Sport zu investieren, vor allem in den Fussball. Alibaba-Chef Jack Ma kaufte deshalb 51% des Fussballclubs Guangzhou Evergrande, der die chinesische Liga gewann. Der Club in Beijing wurde im gleichen Zeitraum von einem anderen Milliardär gekauft. Jack Ma baute ein Dorf mit 3000 Wohnungen und 30 Fussballplätzen, um dort die grösste Fussballschule der Welt aus dem Boden zu stampfen. Die Transfersummen der Spieler in China zählen mittlerweile zu den weltweit höchsten im Fussballsport! Der Sport ist in eine neue Dimension eingetreten und die neue Generation investiert in sportverbundene Objekte, darunter auch Uhren. Diese Generation interessiert sich nun für Hublot und TAG Heuer und nicht mehr für die zarten flachen Uhren, die ihre Eltern bevorzugten. Nur wer sich anzupassen weiss, wird überleben!

Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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