Αus dem Stegreif denkt man bei Chanel oft an Schwarz-Weiss, an die zeitlose Eleganz des kleinen Schwarzen oder an weich fallende, bordierte Kostüme. Und obgleich jeder Gabrielle Chanel bereitwillig eine Vorliebe für Minimalismus und Sorgfalt bescheinigen würde, vergisst man viel zu oft, dass sie die Schlichtheit genauso liebte wie das Barocke. Im Paris der Zwanzigerjahre, in dem viele Russen nach ihrer Flucht vor der Revolution von 1917 Exil suchten, wurde ihre Mode von den Formen und Motiven dieses Landes befruchtet. «Die Russen faszinierten mich», sollte sie später dem Schriftsteller Paul Morand anvertrauen. Dieser Faszination zollt die Marke in diesem Jahr mit der Schmuckkollektion Le Paris Russe de Chanel Tribut.
Gabrielle Chanel setzte zwar nie einen Fuss auf russischen Boden, aber das Gebiet ihrer Träume nahm mit jeder Begegnung oder Leidenschaft mehr und mehr Form in ihrem stilistischen Vokabular an. Als 1921 das von Ernest Beaux, dem Hofparfumeur des Zaren, ersonnene Parfum N°5 erschien, hatte ihre Mode bereits slawische Akzente angenommen. Den Anstoss dafür gab die einige Jahre zuvor geschlossene Freundschaft mit Misia Sert. Die kurze Liebesaffäre mit Grossfürst Dmitri Pawlowitsch, einem Cousin von Zar Nikolaus II., verstärkte die Intensität. Das von Kultur brodelnde Paris wurde zur neuen Heimat von gefallenen Prinzen, und sie begegnete Strawinsky, Diaghilev und anderen Figuren des Ensembles «Ballets Russes» wie Léonide Massine, Serge Lifar und Boris Kochno. Ihr persönlicher Sekretär war kein Geringerer als Graf Kutuzov, und ihre Mannequins sowie Verkäuferinnen stammten aus der vornehmen Gesellschaft Russlands. Das Atelier Kitmir, aus dem prächtige Stickereien hervorgingen, wurde von Grossfürstin Marija Pawlowna, der Schwester ihres ehemaligen Liebhabers, geführt.
Pelzmäntel, lange und farbenfrohe Tuniken, reich bestickte Matrosenblusen oder mit Gürtel getragene Rubaschka-Hemden: Ihre vielfältigen Variationen rund um Russland standen den 63 Schmuckstücken der Kollektion Le Paris Russe de Chanel nun Pate. Die folkloristischen Druckmuster finden sich in farbenprächtigen Ensembles, in von Diamanten spitzengleich gesäumten Motiven oder in Spitzbogenformen wieder, die den Schnitt des traditionellen Kopfschmucks Kokoschnik aufgreifen. Und natürlich kommt auch die symbolische Figur des doppelköpfigen Adlers vor, die an einen Spiegel in der Wohnung von Gabrielle Chanel an der Rue Cambon verweist. Reminiszenzen eines imaginären Russlands – so berauschend und kostbar wie ein Traum.