Die Unruh ist unscheinbar und bildet doch das Herzstück der Zeitmessung. Dank neuer Erscheinungsformen und Strukturen wird ihre Rolle endlich nicht mehr verkannt und unterschätzt.
Die Unruh ist für das Werk grundlegend. Sie bestimmt seine Präzision und Identität, spielt meist aber neben der Hemmung und der Spiralfeder eine untergeordnete Rolle. Ihre exakte Funktion ist unzureichend bekannt. Es handelt sich um ein Schwungrad, d.h. ein Rad, das Energie aufnimmt und wieder abgibt. Diese Energie stammt aus der Aufzugsfeder und wird von der Hemmung übertragen. Anschliessend wird sie an die Spirale weitergeleitet, deren eines Ende mit der Unruh verbunden ist. Die Spirale öffnet und schliesst sich, wobei beide gemeinsam schwingen. Im Idealfall ist ihre Geschwindigkeit, d.h. die Frequenz des Werks, konstant. Auf diese Weise werden Sekunden, Stunden und grössere Einheiten gezählt.
STRUKTUR
Um effizient zu sein, muss die Unruh mit der Spirale zusammenpassen. Sie werden je nach dynamischem Verhalten eingestuft und gepaart. Diese Paarung ist von so grosser Bedeutung, dass sie gemeinsam geliefert und meist sogar bereits montiert angeliefert werden. Zuvor muss die Unruh jedoch uniform sein, d.h. dass ihr Schwerpunkt exakt mit ihrer Zentralachse übereinstimmen muss. Verteilungsfehler, sogenannte Ungleichgewichte, müssen korrigiert werden, da sie die Unruh aus dem Gleichgewicht bringen und Reibung erzeugen. Die Unruh muss möglichst wenig Energie verbrauchen und diese gleichzeitig speichern können. Sie muss folglich ein ideales Trägheitsmoment aufweisen, was durch maximale Masse im Aussenbereich und ein möglichst geringes Restgewicht erfolgt. Deswegen gibt es so viele verschiedene Unruhformen, die die Marken als ästhetische und technische Signatur verwenden.
DESIGN
Die Unruhen bestachen lange Zeit durch die unterschiedliche Anzahl und Form ihrer Arme. Später folgten Farbveränderungen. Bereits 2010 beschichtete Bovet die Unruh des Tourbillon Pininfarina Ottanta mit PVD, damit ihr elektrisches Blau im gut einsehbaren skelettierten Kaliber einen besonders schönen Kontrast bildete. In diesem Jahr warten die neuen Versionen des Tourbillon OttantaSei mit Braun auf. Die Schaffhauser Marke H. Moser & Cie weist in diesem Jahr mit Dunkelblau auf eine neue Legierung der Spirale hin. Sie spannte mit der Regulierorganmanufaktur Precision Engineering zusammen, die so dafür sorgt, dass ihre Innovation sofort ins Auge sticht.
LEISTUNG
Breguet liess sich bei der Fertigung der Tradition 7047 stark von der Vergangenheit inspirieren und verwendet eine Titanunruh mit Goldschrauben. Diese Kombination aus Ästhetik und Werkstoffen verändert die grundlegenden Eigenschaften der Unruh durch eine Optimierung des Trägheitsmoments und eine Gewichtsreduktion. Jaeger-LeCoultre nutzt die nicht ringförmige Gyrolab-Unruh, die zudem noch die Initialen der Marke nachahmt. Bovet hat auch eine ähnliche Unruh ohne Fusskreis (Ring) und ohne drei Arme mit drei profilierten Fliehgewichten an den Enden entwickelt. In beiden Fällen ist die Grundidee, den Luftwiderstand der Unruh zu verringern. Das scheint unerheblich, und doch wird seit Langem an der Aerodynamik der Unruh geknobelt. 1957 entwickelte Rolex bereits die Unruh Microstella, deren Einstellschrauben sich im Inneren des Rads befinden, um die Reibung in der Luft sowie die sich daraus ergebenden Störungen zu begrenzen. Das Ensemble aus Unruh und Spirale ist so heikel, dass jegliches Übergewicht, Ungleichgewicht oder jegliche Reibung sofort die Ganggenauigkeit beeinträchtigt. Die Optimierung dieses kleinen Rads ist also keine Kleinigkeit.