Hinter dem seit 16 Jahren ununterbrochen anhaltenden Erfolg der J12 sowie der Lancierung der Uhr Monsieur de Chanel könnte sich durchaus eine langfristig lohnende und weitsichtige Strategie verbergen. Dies gilt gleichermassen für den aktuellen Kontext, die Relevanz der Positionierung sowie die Achtung der Identität dieser Sparte bei Chanel. Um uns zu helfen, die Bedeutung der Markteinführung dieses neuen Modells besser zu verstehen, hat Chanel uns die Ehre erwiesen, eines der ersten Exemplare in Weissgold für unseren Prüfstand zu verwenden. Wir möchten darauf hinweisen, dass es sich um das erste vollständig von Chanel selbst entwickelte und gefertigte Modell handelt.
AUSSTATTUNG:
Man erkennt auf den ersten Blick, dass bei dieser Monsieur de Chanel nichts dem Zufall überlassen blieb und alles bis ins Detail durchdacht wurde. In das Design wurde viel Energie gesteckt. Die erst fälschlicherweise klassisch wirkende Ästhetik ist kühn und lässt niemanden gleichgültig. Die wenigen Menschen, die bisher das Glück hatten, diese von uns hier im Prüfstand analysierte Uhr näher zu betrachten, haben alle, egal nach welchem ersten Eindruck, systematisch unzählige Fragen gestellt, was von Interesse zeugt.
Wie in dieser Rubrik bereits oft vermerkt, ist und bleibt es wohl die schwierigste Aufgabe für einen Designer, ein «klassisches» Gehäuse zu entwerfen. Das der Monsieur de Chanel besitzt einen Durchmesser von 40 Millimetern, und die gestauchten Bandanstösse verweisen auf den Stil der 60er- oder 70er-Jahre. Damit die Uhr an grösseren Handgelenken jedoch nicht zu klein scheint, hat die Zifferblattöffnung die maximale Grösse. Über der Lünette thront ein überraschend flaches, abgeschrägtes und massives Glas. Ein kühner, retro-futuristischer Stil, der uns ausnehmend gut gefallen hat! Zifferblatt sowie Minuten- und Sekundenzeiger spielen bei der Identität des Zeitmessers eine tragende Rolle und scheiden auch die Geister. Die Anzeige ist auf das Minimum beschränkt. Die springende Stunde im Fenster bei 6 Uhr ist mit einer retrograden Minute sowie einer kleinen Sekunde gekoppelt. Neben dem imposanten aufgelegten quadratischen Fenster der springenden Stunde ziert die gekörnte Oberfläche des Zifferblatts sonst nur ein schwarzer Aufdruck. Die Schrift von Ziffern und Indexen ist zart und eckig und ebenso schlicht wie die Profile der zwei Zeiger.
Diese stilistischen Entscheidungen münden zwangsläufig in Diskussionen. Ohne das imposante Fenster könnte man das Zifferblatt fast mit einem Arbeitszifferblatt verwechseln. Gleichzeitig springen die Ausgewogenheit und die Richtigkeit eines makellosen Designs förmlich ins Auge.
Einige finden das skandalös, andere halten es für einen Geniestreich. Wir haben unsere Entscheidung getroffen, doch jeder muss sich seine eigene Meinung bilden.
WERK:
Ein zu 100% eigenes Chanel-Werk ist eine schöne Überraschung – vor allem speziell für diese Uhr gemacht. Chanel hat übrigens angekündigt, dass jedes neue Modell der Kollektion Funktionen erhalten wird, und vor allem ein spezifisches Kaliber. Auch wenn Chanel den Vertretern der hohen Uhrmacherkunst noch nicht das Wasser abzugraben versucht, stellt die Marke durchaus unter Beweis, dass sie die Grundregeln beherrscht.
Bei der ersten Inspizierung dieses Calibre 1 wirken Architektur und Vollendungen des Werks fast überraschend. Obwohl auch hier Schlichtheit vorherrscht, ist das Kaliber deutlich weniger nüchtern als das Gesicht (Zifferblattseite). Alle Bestandteile scheinen über der wunderschön gekörnten Platine von nur einer einzigen runden Brücke getragen. Brücken und Platine sind schwarz beschichtet, alle beweglichen Teile hingegen rhodiniert. Diese Farbkombination bringt die Volumen nicht immer besonders gut zur Geltung, ist in diesem Fall aber überaus gut gelungen. Bei der Technik liefern zwei in Serie montierte Federhäuser genügend Energie, um die 28 800 Halbschwingungen pro Stunde der Spiralunruh während 72 Stunden zu garantieren.
Die Vollendungen liegen weit über dem Standard dieses Segments, und das Kaliber füllt das gesamte Gehäusevolumen aus. Eine Herausforderung, mit der sich auch heute noch viele der grossen Marken schwertun. Genau das erwartete man von der Monsieur de Chanel. Diesbezüglich sowie in Sachen Relevanz, Architektur und Vollendungen ist dieser Zeitmesser beeindruckend gelungen. Wie steht es nun aber um die Leistung?
TESTS:
Obwohl die Uhr «nur» Stunden, Minuten und Sekunden anzeigt, ist eine springende Stunde in Kombination mit einer retrograden Minute nicht unbedingt die leichteste Übung, die sich Chanel für ein erstes eigenes Modell ausgesucht hat. Beide Komplikationen sind an sich noch relativ einfach, werden durch ihre Kombination aber deutlich komplexer. Der Sprung der Stundenscheibe muss mit dem des Minutenzeigers perfekt synchronisiert sein, um ärgerliche Anzeigefehler zu vermeiden. Und doch braucht jeder Bestandteil beider Mechanismen ein gewisses Spiel (Freiheit). Spiel um Spiel ist die Gefahr jedoch gross, dass genau beim Sprung jeder Funktion signifikante Unterschiede entstehen. Es ist folglich kein Zufall, dass nur sehr wenige Marken eine Kombination dieser zwei Komplikationen anbieten. Chanel scheint eine gute Lösung gefunden zu haben (laufendes Patentgesuch), denn beim Gang sowie bei der Zeiteinstellung sind beide im Bruchteil einer Sekunde synchron, und dies trotz einer in beide Richtungen möglichen Zeiteinstellung.
Bei den traditionellen Messungen erreichte das Calibre 1 unfehlbare Ergebnisse: Gangreserve, Amplituden und Gang sind chronometrisch und von sehr hohem Niveau. Wir haben uns vor allem für die jede Stunde beim Sprung der Stunden- und Minutenanzeige verbrauchte Energie interessiert. Die Werksbauer des Calibre 1 haben sich für einen Sofortsprung entschieden, den wir als sehr schnell und knackig empfinden. Der Minutenzeiger muss einer extrem schnellen Be- und Entschleunigung standhalten. Eine weitere zu treffende Entscheidung betrifft den Kompromiss zwischen Dauer der Energieaufnahme und Amplitudenverlust. Die Amplitude sinkt spät (weniger als fünf Minuten vor dem Sprung), aber dafür recht stark ab (bis 35°). Wir befürworten diese Entscheidung voll und ganz, denn die Anzeige sowie die Sprünge erfolgen klar und sicher, und durch die zwei Federhäuser und die Gangreserve dieses Kalibers bleibt die Ganggenauigkeit über die gesamte Autonomiedauer beispielhaft.
Da es sich noch um einen Prototyp handelt, werden zahlreiche Anpassungen diese Ergebnisse für die 300 Werke, die in diesem Jahr gefertigt werden, sicherlich noch weiter verbessern.
FAZIT:
Trotz unserer Begeisterung ist es schwer, die Zukunft der Monsieur de Chanel vorauszusagen und zu beurteilen, ob sie die Uhrmacherei nachhaltig prägen wird. Wie dem auch sei, Sie haben sicherlich unschwer erkennen können, dass wir nach diesem Prüfstand zur Überzeugung gekommen sind, dass alle an der Entwicklung und Fertigung dieses Modells beteiligten Personen nichts hätten besser machen können. Sie mussten zwangsläufig Entscheidungen treffen, die vielleicht dem Verkauf nicht förderlich sind und vielleicht auch nicht allen gefallen, aber die für ein so gutes Ergebnis unerlässlich waren. Eine wirklich schöne Premiere.