Bvlgari entwickelte und fertigte das hauseigene Basiskaliber BVL191
Der Einzelhändler und Uhrmacher Wempe hat das exklusive Werk der Chronometerwerke Power Reserve bei MHVJ in Auftrag gegeben
Lange Zeit labten sich alle Uhrenmarken an der gleichen Quelle. Dutzende von Marken erstanden ihre Werke ungeachtet ihres Prestigeniveaus bei den Produktionsstätten des Giganten Swatch Group. Doch dann versiegte die Quelle. Die Marken mussten zwangsläufig eine andere Lösung finden. Sie verwenden weiterhin Basiskaliber, entweder von der Swatch-Tochter ETA, wenn sie weiterhin ein gutes Verhältnis zur Swatch Group haben, oder von der Firma Sellita, die diese Kaliber sozusagen geklont hat. Andere hingegen warten nun mit intern entwickelten und gefertigten neuen Werken auf, die teilweise exklusiver und sogar besser sind. Diese Werke der jüngsten Generation sind einfach. Sie müssen dem angestammten Preisniveau der Marken entsprechen. Doch wenn man schon einen so langwierigen und kostspieligen Ansatz verfolgt, muss auch noch ein kleiner Trumpf dabei herausspringen. Der aktuelle Trend geht vor allem in Richtung mehr Gangreserve.
Doppeldeutig
Sobald von «Kaliber» und «exklusiv» die Rede ist, denkt man fast automatisch an «Manufaktur». Die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs besteht immer noch, und viele Marken nutzen dies aus. Im engeren Sinne handelt es sich bei einem Manufakturkaliber um ein von der Marke selbst entwickeltes, gefertigtes und montiertes Werk. Doch eigentlich ist jedes Mechanikwerk ein Manufakturwerk, da es von Hand montiert wird. Dank dieser Doppeldeutigkeit behaupten viele Hersteller, Manufakturwerke anzubieten, ohne jedoch anzugeben, ob es aus eigener Werkstatt stammt oder von jemand anderem, der mehrere Kunden hat. In den Uhrentälern wird weiterhin Geheimniskrämerei betrieben, obwohl dies in Zeiten von Internet und sozialen Netzwerken an Relevanz verloren hat. So kann man beispielsweise nicht erfahren, wen der deutsche Einzelhändler Wempe mit der Herstellung des Kalibers CW3 betraute, das in der Chronometerwerke Power Reserve tickt, auch wenn die Bauart stark an den Schweizer Werksbauer MHVJ erinnert. Bremont verheimlichte lange Zeit, dass sein Kaliber BWC/01-10 bei La Joux-Perret in Auftrag gegeben wurde. Meistersinger und Christopher Ward machen hingegen keinen Hehl aus der Herkunft ihres Kalibers mit fünf Tagen Gangreserve. Es stammt von einem Neuling unter den Werksbauern: Synergies Horlogères. Bulgari und Tudor haben sich deutlich klassischer für die Entwicklung hauseigener Basiskaliber entschieden. Das in La Chaux-de-Fonds gefertigte BVL191 von Bulgari kam vor drei Jahren auf den Markt, und Tudor trumpfte unlängst mit dem ersten eigenen Kaliber MT5921 auf. Bemerkenswert ist hierbei die Geschwindigkeit, mit der die Marke ein ausgereiftes Automatikwerk mit Siliziumspirale und Chronometerzertifikat entwickeln konnte.
Tudor entwickelte allein das als Chronometer zertifizierte Automatikkaliber MT5621
Die Bremont Jaguar MKI und ihr Kaliber BWC/01-10 mit Rotor im Retro-Lenkradstil von La Joux-Perret
Nomos lanciert das flache und sparsame neue Automatikbasiskaliber DUW3001
Meistersinger Circularis, Kaliber MSH01 von Synergies Horlogères
Alleinstellungsmerkmal
Das Behältnis spielt keine Rolle, Hauptsache die Präzision stimmt. Das Wettrennen um die Entwicklung neuer Kaliber läuft auf Hochtouren. Neben dem Argument der Unabhängigkeit brüsten sich die Marken mit der Einzigartigkeit. Oberstes Ziel ist die Exklusivität, denn ein eigenes Werk ist das beste Alleinstellungsmerkmal. Die Personalisierung ist dabei das A und O: Ein Rotor mit Markenlogo ist ein ästhetisches Detail, das einen von der Konkurrenz unterscheidet. Manchmal geht es aber um viel mehr als nur ein Detail. Oris hat sich statt für die fast unverrückbaren 48 Stunden Gangreserve für zehn Tage entschieden. Das Kaliber 110 wurde gerade von der jüngsten Version 111 mit Datum zusätzlich zur nicht linearen Gangreserve abgelöst. Diese Marke, einst ein bedeutender Uhrenhersteller, knüpft so an den Ruhm vergangener Zeiten an. Der deutschen Marke Nomos, die gerade ein neues flaches und besonders sparsames Automatikwerk lanciert hat, liegt das auch im Blut. Prestige, Herkunft und Komplexität variieren bei den aktuellen Innovationen stark. Alle bereichern jedoch die Uhrenlandschaft. Sie räumen mit der mechanischen Monotonie im unteren und mittleren Segment – dem Herzstück der Schweizer Uhrenindustrie – auf.