Karbon kann alles

Unsere Uhren enthalten schon lange Karbon. Kein Stahl ohne Karbon. Auch auf der Oberfläche unserer Uhren findet man schon lange Karbon, da Beschichtungen wie DLC und A-DLC aus diesem Werkstoff bestehen. Ihre geringe Oberflächenabnutzung verdanken sie ihrer diamantähnlichen Struktur (Diamond Like). Die die Gehäuse schwärzenden und härtenden Schichten zeugen von der Haupteigenschaft von Karbon: formbar und vielseitig einsetzbar. Karbon hat aber noch andere technischere Vorzüge. Die Nanoröhrchen sind winzig – nur Nanometer gross – und sehen aus wie gewickelter Maschendrahtzaun. Sie sind solide und doch gleichzeitig biegsam und können bei Kunststoffen und Polymeren als Adjuvantien verwendet werden. Sie dienen, wie der Sand im Beton, der Stabilität. Richard Mille verstärkt mit ihnen die Gehäusestruktur mehrerer Modelle wie beispielsweise der RM27-01 Nadal. Die Nanoröhrchen sind mittlerweile weit verbreitet, da sogar recht erschwingliche Uhren wie der Graham Chronofighter Superlight Carbon damit bestückt ist. Karbon weiss die Marken vor allem durch sein Federgewicht zu überzeugen.

 

Epoxidharz 

Sein vorteilhaftes Verhältnis zwischen Gewicht und Festigkeit wird von einem Werkstoff genutzt, der in der Uhrmacherei schon weit verbreitet ist: Karbonfaser. Die Kohleatome werden dabei als lange Fäden zu einem grenzenlos formbaren Gewebe verflochten, das meist Zifferblätter, Lünetten und manchmal auch Gehäuse überzieht. Bei Franck Muller, IWC und Giuliano Mazzuoli kommt es hie und da zum Einsatz. Hublot nutzt es häufig, hat den entsprechenden Lieferanten übernommen und in die Manufaktur integriert. Der letzte, wenig bekannte, aber heikle Arbeitsschritt ist das Aufkochen der Fasern mit einem Lösungsmittel wie Harz oder Kunststoff, um das Karbon zu härten, die Form zu fixieren und es zu schützen. Denn Karbon hin oder her, Faser bleibt Faser, wenn auch nicht ganz so empfindlich wie Wolle. Audemars Piguet hat die Erfahrung gemacht. Das geschmiedete Karbon hatte der Manufaktur in Le Brassus einen Vorsprung verschafft. Die Formen wurden mit Faserschnipseln gefüllt und anschliessend unter Vakuum bei einer geheim gehaltenen Temperatur gekocht. Diese Gehäuse mussten vor dem Einschalen nur noch kurz entgratet werden. Die Oberflächen rauten sich mit der Zeit jedoch wie ein fusseliger Pullover auf.

 

 

Maserung

In der Zwischenzeit hat Karbon als vollwertiger Werkstoff grosse Fortschritte gemacht. Gehäuse werden teilweise ganz aus Karbon gefertigt. Die Vorzüge sind vielfältig: leicht, rostfrei, allergiefrei, amagnetisch, schwarz, abrasionsbeständig und unverformbar. Unter verschiedensten Bezeichnungen haben mehrere Marken den gleichen Ansatz gewählt: Sie schichten die in unterschiedliche Richtungen zeigenden Fasern dicht übereinander und kochen sie mit geheimen Hilfsmitteln gemäss eigenen Methoden. Man erkennt sie an ihrem Aussehen, das an die unregelmässigen Linien der Haut eines Tigerhais oder gemasertes Holz erinnert. Bei Richard Mille heisst es NTPT und stammt aus der Segelindustrie. Bei Panerai spricht man von Carbotech. Hublot hat dem Werkstoff der neuen Classic Fusion Minute Repeater keinen speziellen Namen gegeben. Und doch weist diese Uhr noch einen weiteren, kaum bekannten Vorzug des Werkstoffs auf, den nur Hublot zu nutzen weiss, und zwar mit hörbarem Erfolg: Karbon ist ein ausgezeichneter Klangleiter.

 

 

Fast perfekt

Doch auch der beste Werkstoff hat seine Schwächen. Bei einer unsanften Begegnung mit Stahl zieht Karbon den Kürzeren. Ein Schlag und Karbon bricht. Karbon kann sogar bröckeln. Ergebnis? Immer weniger Gehäuse werden nach den Methoden der Automobilindustrie und der Formel 1 gefertigt und wenn, werden sie oft durch Lünetten und «breite Schultern» geschützt, meist aus Keramik. Last but not least der Preis. DLC und Faserbeschichtungen sind heute weit verbreitet. Der Neuheitseffekt und die anspruchsvolle Technik führen jedoch dazu, dass zu 100% aus Karbon gefertigte Gehäuse oft 40 bis 70% mehr kosten als solche aus Nichtedelmetallen.


Der Uhrenfachjournalist und regelmässige Korrespondent für WorldTempus.com schreibt unsere Rubrik Innovation in einem für alle verständlichen Stil.

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