Lehre von der (A)Symmetrie

Uhren wirken symmetrisch, sind es aber nie ganz. Leichte Verschiebungen und Rhythmusstörungen verleihen ihnen Dynamik, manchmal sogar eine Identität.

gmt_n48_fra_ipad-409Die Symmetrie ist die offensichtlichste Art und Weise, einem Objekt eine ästhetische Ordnung zu verleihen. Die besondere Sensibilität unseres Gehirns für den goldenen Schnitt in der Natur zeigt, dass unser Gehirn instinktiv darauf reagiert. Die absolute Symmetrie ist jedoch unendlich langweilig, weil sie keine Innendynamik aufweist. Die grössten klassischen Werke zeigen sie deshalb nur im Ansatz. Nehmen wir das Parthenon in Athen: Es scheint, als ob alle Stufen und Säulen parallel wären, und doch sind sie geschwungen und konvergent. Die alten Griechen hatten bereits verstanden, dass die Perspektive unsere Wahrnehmung stark beeinflusst und den Objekten mehr Sinn und Kraft verleiht. Die absolute Symmetrie hat in der Uhrmacherei keine Daseinsberechtigung. Folglich gilt es, sie zu verändern und an die Gesetze des visuellen Gleichgewichts anzupassen.

Rhythmuswechsel

gmt_n48_fra_ipad-412Es gibt viele Arten, die Monotonie der exakten Symmetrie zu brechen. Breguet brach den Rechts-Links-Rhythmus durch die Positionierung der kleinen Sekunde seiner Classique 7147 bei 5:30 Uhr. Sie wirkt wie eine Stütze des ganzen Ensembles. Die scheinbar perfekt symmetrischen Zifferblätter von Arnold & Son sind wie bei der Instrument DTE leicht verzerrt. Seine zwei Tourbillons stehen sich gegenüber, die Genfer Streifen teilen exakt das Zifferblatt, aber die zwei Kronen sind auf 2 und 7 Uhr verschoben. Longines dreht das ganze Gehäuse der Avigation Watch Type A-7 um 60°, damit die Uhr auch vertikal, d.h. in der natürlichen Haltung des Handgelenks, gut gelesen werden kann.

Unterzifferblätter und Zähler sind grundlegende Referenzen, die das Zifferblatt animieren müssen. Mit den vier traditionellen Angaben in allen vier Himmelsrichtungen könnte der ewige Kalender langweilig scheinen. Zum Glück wartet die Mondphase mit einer farbigen Sichel und somit mit etwas Trubel auf. Der Kalender der 6300 Grandmaster Chime von Patek Philippe ist mit seiner zweiachsigen Spiegelung folglich eine Ausnahme.

Fluchtlinien

gmt_n48_fra_ipad-411Beim Uhrendesign kommt es nicht auf die Spiegelung, sondern auf ausgeglichene Massen an. Aus genau diesem Grund funktioniert die kleine Sekunde bei 6 Uhr so gut: Sie bildet das Gegenstück zum Markennamen bei 12 Uhr. Diesem Prinzip folgt auch die Hora Domus von Bulgari. Alle sechs Fenster scheinen gespiegelt, und doch sind ihre Formen und Farben unterschiedlich. Das verwirrt das Auge gerade ausreichend genug, um zu gefallen. Diese Ausgewogenheit erklärt auch die so besondere Aufteilung der Lange 1: All ihre Anzeigen befinden sich auf sekundären Symmetrieachsen. Bestimmte Versetzungen entsprechen ergonomischen Bedürfnissen. Die Métiers d’Art Elegance Sartoriale von Vacheron Constantin ist absichtlich rechts zentriert, um unter dem Hemdsärmelrand besser lesbar zu sein. Die für Taucheruhren typischen, auf 5 Uhr verschobenen Kronen schützen das Handgelenk vor Reibungen durch den Aufzug. Die Recital 18 von Bovet ist bei 12 Uhr dicker als bei 6 Uhr, um das Werk in den Augen des Betrachters mit einem bestimmten, die Uhr besonders hübsch zur Geltung bringenden Neigungswinkel wie in einem Schaufenster wirken zu lassen. Bei der RM 59-01 von Richard Mille ist das Gehäuse an einer Seite dicker als an der anderen: Vielleicht weil ihr der Sprinter Yohan Blake Pate stand und um beim 100-Meter-Lauf noch aerodynamischer zu sein?

Der Uhrenfachjournalist und regelmässige Korrespondent für WorldTempus.com schreibt unsere Rubrik Innovation in einem für alle verständlichen Stil.

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