Am Rande der klassischen Komplikationen existiert eine Vielfalt von ungewöhnlichen, teilweise unvergleichlichen Funktionen. Ein Panorama verkannter Spezialitäten, die den Reichtum der Uhrmacherei ausmachen.
Tourbillons sind so zahlreich wie die Blätter, die im Herbst von den Bäumen fallen. Minutenrepetitionen und ewige Kalender auch. Völlig verrückte Komplikationen wie der dreiachsige Doppeltourbillon sind bei rund einem Dutzend Marken erhältlich. Wie im Jazz werden die grossen Klassiker immer wieder aufgelegt und neu interpretiert. Parallel dazu gibt es aber eine Unzahl von spezialisierten und eigenartigen Nischenkomplikationen. Sie sind selten verrückt, verfügen aber immer über eine Prise Extravaganz und eine gewisse Nützlichkeit.
NICHT ALLTÄGLICHE KALENDER
In einigen Berufen gehört zum Datum auch die Kalenderwoche. Wir erinnern uns: Ein Jahr besteht aus 52,14 Wochen. Aus diesem Grund reicht die Skala der wenigen Uhren, die sie angeben – wie die Villeret Semainier Grande Date von Blancpain – bis 53. Eine weitere mit dem Datum verbundene Funktion ist der Wecker. Nicht der alltägliche, sondern einer mit Weitsicht wie der der Senator Terminkalender von Glashütte Original. Mit ihr kann das Läutwerk für eine Uhrzeit mit Datum bis zu einen Monat im Voraus programmiert werden. Noch abstrakter ist die von Hermès kreierte Slim L’Heure Impatiente. Ihr Countdown zählt die letzten 60 Minuten herunter, die uns von dem heissersehnten Klingelton trennen.
SELTENE KLÄNGE
Das Reich der Schlagwerkuhren ist gigantisch. Dort finden sich Seltenheiten wie die Schlagwerkreserveanzeige der Chopard L.U.C Full Strike. Die Minutenrepetitionen werden in dem Moment aufgezogen, in dem man sie durch Betätigen eines Drückers auffordert, zu klingeln. Einige von ihnen haben ein grosses Federhaus für das Läutwerk, durch das die Uhr wie im Fall der Full Strike bis zu 12 mal in Folge schlagen kann. Eine weitere Variation dieses Themas bildet das Schlagwerk im Vorübergehen. Eine Betätigung des Drückers genügt, und die Uhr ist wie die Hourstriker von Ulysse Nardin bereit, jede volle Stunde mit einem einzelnen Ton anzugeben. Für eine ganze Melodie bedarf es einer hybriden Uhr mit einer Spieldose wie der Opera von Jacob & Co. Sie verfügt über zwei identische Walzen, damit sie lauter klingen kann. Zur Abrundung dieses Spektakels dreht sich das gesamte Werk während der Melodie.
GEWÖHNUNGSBEDÜRFTIGE AKTIONEN
Zur modernen Definition der Komplikation gehören auch untergeordnete Steuerungssysteme und alternative Anzeigen. Mit der Funktion Ring Command von Rolex kann die Sky-Dweller durch eine kombinierte Wirkung von Lünette – in der Rolle des Funktionswählers – und Krone eingestellt werden. Auch Anzeigen, die aus dem Rahmen fallen, wurden in den letzten 15 Jahren zu Dutzenden ersonnen. Aber eine der hartnäckigsten ist die vagabundierende Stunde, u.a. bei der Golden Wheel von Arnold & Son. Diese verzichtet auf Zeiger und lässt die Stundenzahlen auf einer Scheibe über einer Skala von 0 bis 60 kreisen.
AUSSERGEWÖHNLICHE SPEZIALITÄTEN
Und dann sind da noch die ultraspezialisierten Uhren: stets zu Diensten und immer zum Messen bereit. So erfand Richard Mille einen mechanischen Beschleunigungsmesser namens G-Sensor, der in mehreren Modellen wie beispielsweise der RM 38-01 Bubba Watson integriert ist. Oris machte den Höhenmesser für jedermann zugänglich. Ihre Big Crown ProPilot Altimeter dient praxiserprobten Piloten, zu denen auch die der Schweizerischen Rettungsflugwacht REGA gehören. Für die Sterngucker spannten schliesslich Van Cleef & Arpels und der holländische Spezialist für astronomische Uhren Van Der Klaauw zusammen. Die Midnight Planétarium verfolgt die Umlaufbahn beinahe aller Planeten des Sonnensystems von den 88 Tagen des Merkur-Jahres bis zu den 10 757 des Saturns. Hubert Reeves und seine Kollegen haben sicherlich erst nachgezählt und dann applaudiert.
PAULS POSITION
Davids Artikel zeigt deutlich, welche Überlegungen die Uhrenmarken über die Angabe der Uhrzeit als zentrale Funktion einer Uhr hinaus anstellen. Vom Stunden- Läutwerk für den Wecker über die Höhenanzeige bis hin zur Messung der Schwerkraft – alle drei völlig mechanisch – sind dem Einfallsreichtum für Funktionen, die in diesen kleinen Gegenstand an Ihrem Handgelenk passen, keine Grenzen gesetzt. Selbstverständlich kann eine Smartwatch vergleichbare Funktionen bieten, aber diese wird in Ihnen nie die gleichen Emotionen hervorrufen und kann der Geschichte auch nicht mit der gleichen Langlebigkeit die Stirn bieten. Ausserdem müssen Sie sich beim Höhenmesser der Favre-Leuba Bivouac 9000 keine Gedanken über den Batteriezustand machen, wenn Sie gerade den Mount Everest besteigen. Sie müssen sie nicht einmal aufziehen, damit sie Ihnen eine Höhe von bis zu 9000 Metern oder die Wettertendenz für die nächsten Tage anzeigt.